Wie ein Burnout verhindert werden kann

Interview mit Dipl. Psych. Oliver Bohlen im Hamburger Abendblatt

 

Am See sitzen, aufs Wasser schauen, den Wald dahinter, die Farben beschreiben, die die Augen wahrnehmen, die Entenfamilie beobachten, die vorüberzieht, kurz: im Augenblick leben, sich auf das Jetzt konzentrieren. Was so selbstverständlich klingt, geht verloren, muss wieder geübt werden. „Achtsamkeit ist ein wichtiger Baustein, wenn wir Menschen mit Burnout behandeln“, sagt Oliver Bohlen, 1. Leitender Psychologe in der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Bad Segeberg, die wiederum Teil der Segeberger Kliniken ist.

Burnout – eine Volkskrankheit in einer Gesellschaft, in der nur Leistung und Erfolg zählen? „Das ist schwer zu sagen. Die Angaben zu den Zahlen derjenigen, die an Burnout leiden, schwanken stark“, sagt Bohlen, der aber prognostiziert, dass Burnout weiter zunehmen wird – eine Aussage, die durch eine Studie der Betriebskrankenkasse Pronova aus dem Vorjahr gestützt wird. Danach fürchteten 61 Prozent, an Überlastung zu erkranken, elf Prozent mehr als vor der Corona-Pandemie. Jeder Fünfte (21 Prozent) stufte die Gefahr, einen Burn-out zu erleiden, als „hoch“ ein, vor der Pandemie waren es nur 14 Prozent.

Bohlen hilft Frauen und Männern, die in der Segeberger Reha-Klinik behandelt werden und sich so beschreiben: „Ich bin am Ende meiner Kräfte, ich kann nicht mehr, ich bin total erschöpft“. Stress, den wohl jeder kennt. Gefährlich wird es aber, wenn sich diese Empfindungen verfestigen, zum Dauerzustand werden. Wenn sich die Emotionen melden, sich Hoffnungslosigkeit einstellt, die Gereiztheit wächst, man sich über alles und sofort ärgert, sind das Anzeichen für Burnout.

Die Arbeit wird nicht oder nur wenig wertgeschätzt, das Pensum ist kaum zu schaffen, der Zeitdruck hoch, ständige Kontrolle durch den Vorgesetzten, all das kann zu Überlastung führen. Risikofaktoren sind aber auch Belastungen im Privatleben: Pflege von Angehörigen, Kindererziehung, Haushalt. Betroffene verzichten zunehmend auf Sport oder andere Freizeitaktivitäten, die ihnen früher Spaß gemacht haben. Sie ziehen sich zurück, vernachlässigen Freunde und Bekannte. Schließlich reagiert auch der Körper auf dauerhafte Überlastung. „Es kann zu Magenproblemen, Herzrasen, Infektanfälligkeit, Engegefühl und Schlafstörungen kommen“, sagt Bohlen. Burnout zieht sich quer durch die Berufswelt, Pflegekräfte sind genauso betroffen wie Manager oder Lehrkräfte.

Trotz dieser Symptome sei Burnout im Unterschied zu einer Depression keine anerkannte Krankheit. „Burnout bezieht sich eher auf chronische Belastung, während depressive Störungen gut definierte Krankheitsbilder darstellen, die behandelt werden müssen und unterschiedliche, auch innere Ursachen haben können“, sagt der Leitende Psychologe. Allerdings sind die Grenzen fließend, aus einem Burnout kann sich eine Depression entwickeln. Auch Freizeit und Familie können den mentalen und körperlichen Akku entleeren.

Aber warum „bricht der eine zusammen“ und der andere nicht? „Weil wir unterschiedlich strukturiert sind. Wer hohe, geradezu unerbittliche Ansprüche an sich stellt, wer bereit ist, sich für den Job grenzenlos aufzuopfern, wer besonders, ständig besser sein will als andere, der wird eher an seine Leistungsgrenzen und darüber hinaus gehen als andere“, sagt Psychologe Bohlen. Die Schere zwischen Belastung und Erholung klafft immer weiter auseinander, bis Geist und Körper streiken.

Wenn Burnout nicht als Erkrankung anerkannt ist, müssen Betroffene dann ohne medizinische Hilfe klarkommen? „Nein, da die berufliche Leitungsfähigkeit eingeschränkt ist, kann eine Behandlung über die Deutsche Rentenversicherung beantragt werden, übrigens auch als vorbeugende Maßnahme“, sagt Bohlen. Der erste Schritt ist der Weg zum Hausarzt, der an Fachärzte vermitteln oder auch direkt einen stationären Aufenthalt gemeinsam mit dem Patienten beantragen kann. Beispielsweise in der Reha-Klinik der Psychosomatischen Klinik der Segeberger Kliniken, in der bis zu 150 Patienten therapiert werden.

Eine der Grundlagen, um die Work-Life-Balance wieder herzustellen, bildet das Achtsamkeitskonzept, eine Anleihe aus der buddhistischen Meditationspraxis. „Wir sind stark mit der Vergangenheit und mit der Zukunft beschäftigt“, sagt Bohlen und nennt ein Beispiel: Man trifft zufällig einen Freund. Aber man lässt sich nicht auf ihn ein, will nicht wirklich wissen, wie es ihm geht, weil man gleich weiter muss, die nächsten Aufgaben erledigen. Es geht aber darum, uns auf den Augenblick einzulassen, uns in der Gegenwart zu verankern. So kann man auch dahinkommen, sich auf sich selbst zu konzentrieren und seine Gefühle und Körpersignale wahrzunehmen. „Sie machen uns darauf aufmerksam, welche Bedürfnisse möglicherweise nicht erfüllt und dass Veränderungen nötig sind, um die Lebens-Balance zu erhalten“.

Achtsamkeit, Sport, Ergotherapie sind Bausteine der Therapie Einzel- und Gruppengespräche, Wissensvermittlung, Sport, Ergotherapie wie zum Beispiel Malen – das sind die wesentlichen Bausteine der mehrwöchigen Therapie in der Segeberger Reha-Klinik. Die Therapeuten und Therapeutinnen machen keine Vorgaben, sagen den Patienten und Patientinnen nicht, wie sie sich künftig verhalten sollen.

Sie folgen, so Bohlen, dem Prinzip des „geleiteten Entdeckens“, stellen Fragen: Wie würdest du antworten, wenn die Fee kommt und du drei Wünsche freihättest? Eine Frage, die Betroffene animieren soll, darüber nachzudenken, was ihnen wichtig ist, welche Werte und Ziele sie als Leitlinie für ihr künftiges Leben definieren wollen. Wer an sich Symptome eines Burnouts entdeckt, kann auch selbst gegensteuern, die Anforderungen am Arbeitsplatz überdenken und gegebenenfalls im Gespräch mit Vorgesetzten besonders belastende Abläufe verändern, regelmäßig Pausen einlegen, Erreichbarkeit über Handy, Internet und E-Mail reduzieren, aber auch ausreichend schlafen, sich bewegen und gesund ernähren.

Bestimmte Denkmuster wie verfestigte negative Erwartungen machen außerordentlich stressanfällig. „Wer zum Chef zitiert wird, muss nicht gleich denken: Was habe ich falsch gemacht? Es kann ja auch um ganz andere Fragen gehen, Arbeitsorganisation oder sogar Lob“, sagt Bohlen.

Wertschätzung ist eine sehr wichtige Burnout-Vorsorge, ebenso wichtig wie angemessene Bezahlung und ein gutes Betriebsklima, lautet sein Rat an die Arbeitgeber. Dass sich die Beschäftigten wohlfühlen, gewinnt an Bedeutung. „Befragungen haben bereits erhöhte Werte für ein Burnout-Syndrom bei Jugendlichen ergeben, obwohl sie noch gar nicht in der Mitte des Berufslebens angekommen sind“, sagt der Psychologe. Auch gesellschaftliche Entwicklungen wie die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg oder wirtschaftliche Unsicherheit können das seelische Gleichgewicht beeinflussen.