Die Digitalisierung sowohl im Berufsleben als auch im Alltag hat Konsequenzen. Die ständige Erreichbarkeit und der ständige Zufluss von Informationen können dazu führen, dass Menschen sich überfordert und gestresst fühlen. Dazu kommt der Druck in sozialen Medien aktiv zu bleiben.
Dr. med. Michaela Löbig, Chefärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Segeberger Kliniken, spricht über die Herausforderungen des digitalen Zeitalters und wie Betroffene Wege finden können, um damit umzugehen.
Frau Dr. Löbig, warum leiden so viele Menschen im digitalen Zeitalter unter Stress?
„Die Digitalisierung hat unser Leben auf vielen Ebenen vereinfacht, gleichzeitig bringt sie aber auch eine ständige Erreichbarkeit mit sich. Unsere Gehirne sind nicht dafür gemacht, kontinuierlich neue Informationen zu verarbeiten und gleichzeitig auf Multitasking getrimmt zu sein. Diese Dauerbeanspruchung überfordert viele Menschen und führt zu Stresssymptomen wie Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen oder Erschöpfung. Hinzu kommt der Druck, in sozialen Medien ein perfektes Bild von sich selbst zu präsentieren, was das Stressniveau weiter erhöht.“
Wie oft schauen Menschen am Tag auf ihr Handy?
„Studien zeigen, dass Menschen durchschnittlich rund 100 Mal am Tag auf ihr Handy schauen, das bedeutet ungefähr alle 10 Minuten. Bei intensiven Nutzern kann diese Zahl sogar deutlich höher liegen. Die ständigen Benachrichtigungen und das sogenannte "Dopamin-Feedback" durch Likes, Nachrichten oder Updates verstärken dieses Verhalten.“
Was ist ein Dopamin Feedback?
„Dopamin-Feedback bezeichnet den Prozess, bei dem das Gehirn beim Erhalt einer Belohnung, wie etwa einer Benachrichtigung, einem Like oder einer positiven Nachricht, den Neurotransmitter Dopamin ausschüttet. Dieser Botenstoff erzeugt ein Gefühl von Freude oder Zufriedenheit und motiviert uns, das Verhalten zu wiederholen, was bei exzessivem Medienkonsum süchtig machend wirken kann.“
Was bewirkt es, wenn Menschen den ganzen Tag auf Bildschirme schauen und abends weiter digitale Medien konsumieren?
„Das ständige Schauen auf Bildschirme hat zahlreiche negative Auswirkungen: Die sogenannte digitale Augenbelastung kann Symptome wie trockene Augen, Kopfschmerzen und verschwommenes Sehen hervorrufen. Das Gehirn wird durch die Informationsflut permanent gefordert, was zu Konzentrationsproblemen und Erschöpfung führt. Besonders das blaue Licht von Bildschirmen hemmt die Produktion des Schlafhormons Melatonin, was Einschlafprobleme und eine schlechtere Schlafqualität verursacht.“
Was sind die langfristigen Auswirkungen auf die mentale Gesundheit?
„Dauerhafter Medienkonsum kann Stress und Angstgefühle verstärken, insbesondere durch den Vergleich mit idealisierten Darstellungen in sozialen Medien. Studien belegen zudem, dass exzessiver Bildschirmkonsum mit einem höheren Risiko für Depressionen zusammenhängt. Trotz digitaler Vernetzung kann exzessiver Medienkonsum zu sozialer Isolation führen, da reale Begegnungen und persönliche Kontakte vernachlässigt werden.“
Was sind die wichtigsten Anzeichen, dass jemand unter digitalem Stress leidet?
„Typische Anzeichen sind innere Unruhe, das Gefühl, nie abschalten zu können, und eine ständige Ablenkbarkeit. Viele Betroffene berichten, dass sie nachts schlecht schlafen, weil sie vor dem Einschlafen auf ihr Smartphone schauen. Auch der sogenannte "Phantom-Vibrationseffekt", bei dem man glaubt, eine Benachrichtigung erhalten zu haben, obwohl das nicht der Fall ist, ist ein Warnsignal.“
Wie kann man digitalen Stress effektiv bewältigen?
„Ein erster Schritt ist, feste Offline-Zeiten einzuplanen, in denen man bewusst auf digitale Medien verzichtet. Besonders wichtig ist eine digitale Pause vor dem Schlafengehen, da wie erwähnt das blaue Licht der Bildschirme die Melatoninproduktion hemmt. Auch die Nutzung von Apps zur Bildschirmzeitkontrolle kann helfen, ein Bewusstsein für den eigenen Medienkonsum zu entwickeln. Zusätzlich empfehlen wir in unserer Klinik Achtsamkeitstraining, um den Moment bewusster wahrzunehmen und das Gedankenkarussell zu stoppen.“
Wie unterstützt Ihre Klinik Betroffene?
„Wir bieten individuelle Therapiekonzepte an, die psychotherapeutische Ansätze mit Achtsamkeitsübungen und Stressmanagement kombinieren. Unser Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten Strategien an die Hand zu geben, um mit digitalem Stress besser umzugehen und langfristig ihre Lebensqualität zu steigern. Gerade Gruppentherapien sind oft hilfreich, da die Betroffenen sehen, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind.“
Haben Sie Tipps für den Alltag, um den digitalen Stress zu reduzieren?
„Ja, hier sind drei einfache Tipps: Erstens, legen Sie Ihr Smartphone in einem anderen Raum ab, wenn Sie sich auf eine Aufgabe konzentrieren müssen. Zweitens, nutzen Sie die Flugmodus-Funktion, um bewusst Pausen einzulegen und drittens, planen Sie "digitale Fastenzeiten", beispielsweise ein Wochenende im Monat ohne soziale Medien oder Mails.“
Wie schätzen Sie die Entwicklung ein? Wird der digitale Stress in den kommenden Jahren zunehmen?
„Ich denke, das Bewusstsein für die negativen Auswirkungen wird wachsen, und hoffentlich entwickeln sich daraus neue gesellschaftliche Normen, wie zum Beispiel das Recht auf Nichterreichbarkeit. Gleichzeitig werden wir uns weiter damit auseinandersetzen müssen, wie wir Technik sinnvoll in unser Leben integrieren können, ohne uns von ihr beherrschen zu lassen. Ich wiederhole mich gerne: Regelmäßige Pausen, Offline-Zeiten und ein digitaler Detox, besonders abends, können helfen, die Balance zwischen Technologie und Wohlbefinden zu finden.“
In der Segeberger Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie werden Erkrankungen diagnostiziert und behandelt, bei denen seelische Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Die Klinik liegt eingebettet in das Naherholungsgebiet Holsteinische Schweiz direkt am Großen Segeberger See.
Durch die Verbindung der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie insbesondere mit dem Herz- und Gefäßzentrum, dem Neurologischen Zentrum und der Allgemeinen Klinik entstehen hervorragende Voraussetzungen, auch Patienten mit körperlichen, insbesondere kardiologischen und neurologischen Erkrankungen, ein adäquates integriertes psychosomatisch–psychotherapeutisches Behandlungsangebot zu machen.